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«Hast du Eier?» 

So schaffe dir ein paar Tiere an.»

 

Im Halbschlaf höre ich Chuchuna, das Pferd mit dem Futtertrog im Stall herumschlagen.

Den Dreh hat sie draus. Unzählige von Plastikbecken sind schon in die Brüche gegangen.

Fünf Fellnasen kleben am Schlafzimmerfenster. Leises Winseln lässt mich nicht kalt.

«Jetzt muss du raus.»

 

Mein Alltag fängt mit einer «Schei..runde» an.

Auf dem Balkon siebe ich das Granulat im Katzenklo durch. Chläusu, unser neuer Kater ist

in seinem Teenager-Alter schon recht produktiv.

Nach Marseilles Seife soll es riechen, trotzdem ist der Geruch egal welchem französischen Parfum weit entfernt. Nein, Katzen waren nie mein Ding. Nur: jemand soll die Mäuse fangen können.

 

Das Plastikbeutelchen trage ich noch vor dem ersten Kaffee gemeinsam mit dem Inhalt des Abfalleimers vom Bad in die Garage runter. Unsere Entsorgungsanlage verträgt kein WC-Papier. Somit ist in Marani Schiffsbetrieb angesagt: Papier in dem dafür gedachten Eimer entsorgen. Bitte!

 

Die Enten überrennen mich, sobald ich den Hühnerstall aufmache. Ich muss höllisch aufpassen, dass ich bei dem Öffnen der zweiten Türe nicht mit dem Truthahn zusammenstosse.

Der schicke, schwere Herr Hudry – hudry – sitzt auf der obersten Stange und wenn er durchstartet, ist es fürs Bremsen zu spät.

Federvieh raus, die Enteneier gesammelt, weiter geht zum Pferdestall.

Die Halfter montieren und raus mit den Huftieren.

Für das Ausmisten reicht hier kein Plastikbeutelchen mehr. Die Menge entspricht einem zweijährigen Pferd und der Futterqualität. Ich fechte mit Schaufel und Besen, bis der Stall sauber und wieder parat für den Einzug ist.

 

Ich mache noch einen Abstecher retour in den Hühnerstall. Die Henne steht wieder so doof da und starrt in die Ecke des Stalls. Schon gestern versuchte ich, sie auf ein paar Eier zu setzen. Sie war aber anderer Meinung. Brüten will sie nicht. Leckerli und Extraportionen mit Vitaminen verweigert sie.

Ich nahm sie in die Arme und im Ernst zeigte ich ihr die weitere Option: den Holzstock und das Beil: «Entscheide dich! Fressen, oder gegessen werden. Du hast die Wahl.» Sie hat sich entschieden…

 

Die Haufen «Elefantenkacke» der Hunde sammeln wir mit der Schaufel.

Falls wir über eine Biogasanlage nachdenken sollten, für das Material ist gesorgt.

 

Auf dem Weg zum Haus begegne ich Nino. Nino, ist eine schöne Henne, leider frisch verwitwet.

Nino trägt ein Krönchen, statt Kamm auf dem Kopf. Vielleicht deswegen hat sich Ali, eines der Perlhühner, in sie verliebt. Seite an Seite pickten sie die Würmer im Garten raus, sassen nebenan im Stall und er wich ihr nicht von der Seite, wenn sie ihren Verpflichtungen – dem Eierlegen – nachging.

Sie, stolz mit ihrer Krone, er mit seinem Tataren-«Hütchen» auf dem Kopf, ähnelten sie mit ihrer Liebe den Hauptdarstellern eines georgischen Romans.

 

«Ali, verliebte sich in Prinzessin Nino, doch ihre Liebe gleicht in der Gesellschaft einer Schande.

Trotz seines muslimischen Glaubens kommt Ali aus Aserbeidschan mit Christin Nino zusammen. Sie bekommen eine Tochter, doch das Glück dauert nicht lange. Ali wurde im Krieg getötet.

(Zum Andenken wurde eine bewegliche Statuen-Formation in Batumi aufgestellt, ein Monument der grossen Liebe.)

 

Unser Ali ist nicht im Krieg, sondern in einem unfairen Kampf ums Leben gekommen. In der Dämmerung musste er sich einem Rudel Hunde stellen. So sitzt Nino heute allein im Stall, geduldig legt sie Eier und trauert ihrem Ali nach.

 

Das alte Leben geht weiter, neues Leben entsteht.

 

Der Herr Trottel und sein Hudry - Hudry Weibchen sorgten für Nachwuchs. So sitzt das Truthahn-Huhn auf 13 Eiern. Sechs Stück der eigenen und weiteren 7 Enteneiern. Die haben wir ihr heimlich unterjubelt. Dabei dachten wir, es wäre okay, denn die Georgier machen es genauso. Die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs wird bestimmt steigen. Wir haben uns geirrt. Aus Rache vergeht sich der Truthahn an einer der Enten aus China. Scheinbar hat er die «Kuckuckseier» doch noch bemerkt. Die Arme versteckt sich nun seit zwei Tagen unter dem Brennholz.

Erfolg haben wir keinen gehabt. Die Schlange, die sich in den Stall einschlich, hatte die frisch geschlüpften Küken getötet.

Ja, die Natur hat eigene Regeln und wir wurden für unseren Betrug bestraft.

 

In der Küche, begrüsst mich Gerold mit frischem Kaffee und üblicher Frage:

«Hast du Eier»?

 

Ich beende die «S……Runde» mit dem Klo unseres Papageis. Niedlich, die kleinen grünen Klekse auf dem Käfigboden.

 

Wir lernen jeden Tag.

In unserem Denken und dank den neuen Verpflichtungen in unserem Style ebenfalls. Wir haben uns verändert.

So nehmen die Klamotten aus dem Schrank für «schön» schnell den Platz im Schrank «Arbeit» ein. Einige der sündhaft teuren Ledertaschen haben am Treppengeländer ihre neue Rolle als Blumentöpfe angenommen. Wer braucht sie hier schon?

 

Abends treiben wir, in die Hände klatschend, das Federvieh in ihre Suiten.

Wenn das «Mnam mnam» ertönt, rennen Chuchuna, der Esel und die fünf Hunde zum Nachtessen.

Das alles, trotz viel Arbeit, macht uns glücklich.

 

Ein Esel? Ja! Ein Esel!

 

Wir haben im Frühling den Bestand der Huftiere erhöht.

Unser Micho ist eigentlich ein Kachetier - ein Ostgeorgier und wurde nach Samegrelo - den Westen verschenkt.

Doch sein neuer Besitzer wusste nicht, was er mit ihm anfangen sollte - so haben wir Micho im Facebook entdeckt.

 

Wie es sich gehört, haben wir uns über seinen Gesundheitszustand gründlich informiert.

Die Impfungen, Kastration, Entwurmen, Hufpflege etc.

Ich und mein Kontrollwahn haben nicht versagt. «Nichts gemacht, niemand hat sich um Micho bemüht, niemand hat ihn angefasst.»

Traurig.

 

Ein lieber Kerl ist es. Lernt schnell und passt sich an.

Von Chuchuna übernimmt er die Hofmanieren.

So stand er nicht nur in der Küche, das Wohnzimmer hat er auch schon inspiziert.

 

Eine Sache blieb ihm aber nicht erspart.

Da Chuchuna im reproduktionsfähigen Alter ist, musste ein bestimmtes Organ bei Micho entfernt werden. Maultier oder andere Art der Mischung dieser zwei Fluchttiere sind unerwünscht.

 

So wendeten wir uns an GAF – Georgian Animals Föderation in Kutaisi, die Tierarztpraxis unseres Vertrauens, und vereinbaren einen Termin.

 

Dann ist der Tag einer ernsten Sache gekommen.

 

Ein Ambulanzwagen stand vor dem Tor.

Ja, GAF verfügt über einen mobilen Sanitätswagen und zwei Tiertaxi-Fahrzeuge.

 

Der Fahrer, ein Tierarzt, sowie ein Assistent, sind im Stall angekommen.

Unser Nachbar Zazaza und meine Tochter standen auch zur Verfügung.

 

Was dann abging gleicht einer härteren Rodeo-Runde.

Das Szenario kenne ich aber nur aus farbigen Schilderungen. Ich sass damals im Georgisch-Unterricht.

 

Micho in seinem langen, wuscheligen, mit tausenden Disteln übersäten Winterfell, wehrte sich und kämpfte um seine Männlichkeit, was das Zeug hält.

Nach einigen Versuchen und Schrammen bei allen Beteiligten, lag der arme Esel gefesselt und betäubt am Stallboden.

 

Der Rasierapparat fuhr langsam durch das lange Fell am Bauch und siehe da!

Siehe das NICHTS DA!!!

 

Wir sind keine Experten. Wir glauben, was man uns antwortet. Aber der Esel ist schon länger zeugungsunfähig – sprich kastriert!

Niemand, sogar der Tierarzt nicht, niemand hat vorher Michos «Ding Dongs» durch das Fell inspiziert.

Die erschöpften Männer sassen am Boden und schüttelten nur die Köpfe.

 

So ging unser Hof in die GAF-Geschichte ein. «Wie geht es Micho?» fragen sie jedes Mal und ich laufe rot an. Trotzdem dürfen wir mit unseren Tieren wiederkommen.

 

Der Micho hat sich erholt, lässt sich anfassen und grast mit Chuchuna im Garten.

Die Pferdedame sucht mit ihren Schwangerschafsgelüsten (die alles wissenden Georgier sind sich dessen sicher) nach einem Leckerli.

 

Im Frühling gab es wieder eine Suchaktion. Unser Pferd ist ein wildes Tier, die Herkunft lässt sich nicht verleugnen.

Nachdem Chuchuna während der Baggerarbeiten um ihren Zaun ausgebüxt ist, waren viele

Dorfbewohner dabei. Die Plakate hingen an den Bushaltestellen. Nicht mal die Drohne half.

Bis unsere Arbeiter sie auf der Strasse antrafen. 😊 Einfach so.

 

Micho ist eine zuverlässige Überwachungsanlage.

Das wussten wir damals nicht. Er hat uns gerufen, doch niemand hat ihn verstanden.

Es gibt diverse Alarmstufen, die er anwendet.

Wenn es im Garten nach kaputter Schubkarre tönt, ist das ein Geräusch, mit welchem Micho eine Veränderung im Umfeld meldet: Kein Wasser im Trog, ein fremder Hund auf der Wiese etc.

Wenn es wie ein fahrender Güterzug ertönt, ist es definitiv eine ernste Sache.

Der Esel gibt alles, um auf sie aufmerksam zu machen.

Wir haben sie ignoriert, die Meldung über Chuchunas Aufbrechen.

Die Konsequenzen tragen wir. Und der Micho wird in ein paar Monaten stolzer Onkel sein.

 

Es herrscht Frieden am Hof Marani. Gerold sammelt die Haselnüsse, ich lerne die unvorstellbar schwere georgische Sprache. Der Herr Gott musste damals mit den Georgiern eine beträchtliche Menge Wein getrunken haben. Anders kann ich mir die Quelle dieser Sprache nicht erklären.

Hätte ich nicht so eine gute und geduldige Lehrerin gehabt, hätte ich mir das Georgisch intravenös einflössen lassen müssen.

 

Doch einen wichtigen Satz kenne ich fehlerfrei:

 

 „კვერცხები გაკვს?» (q`vertskchebi gakvs?)

 

 HAST DU EIER?!!!




 

 

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